Flächendeckende Vorfeldkriminalisierung im Umweltstrafrecht!

Der Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer sieht im Umweltstrafrecht „Neukriminalisierungen außerhalb eines Täter-Opfer-Bereichs“ sowie eine flächendeckende Vorfeldkriminalisierung, bevorzugt über abstrakte Gefährdungsdelikte.“ (Maxeimer und Mirsch, Die Zukunft und ihre Feinde – Wie Fortschrittspessimisten unsere Gesellschaft lähmen, Eichenbornverlag 2002) Und weiter:

HASSEMER: Anders als etwa Vergeltung, die sich am Gewicht von Unrecht und Schuld bemisst und begrenzt, hat Prävention keine eingebaute Bremse. Sicherheit kann es in einer Gesellschaft, die, wie derzeit unsere, von Risikofurcht und Kontrollbedürfnissen beherrscht wird, nie genug geben.
Unter diesen Bedingungen wird das eigentlich grundvernünftige Ziel der Prävention selber zu einem gefährlichen Konzept; es neigt zu unverhältnismäßigem Einsatz repressiver Instrumente.
“ Quelle: „Das Grundgesetz ist dazu da, in Aktion zu treten

Erschreckend – und es deckt sich nicht nur mit meinen Erfahrungen. Die interdisziplinäre wasserwirtschaftliche Entschärfung behördlich abstrakter Gefährdungsdelikte ist ein Spezialgebiet von mir (u.a. Verhältnismäßigkeitsprüfung nach EU-WRRL).

Die Analyse tatsächlicher Verhältnisse im Gewässer wird mitunter als Kritik an behördlichen Vorstellungen und Zielen gesehen. Unter solchen Bedingungen ist nur selten eine Verhältnismäßigkeit bei der Abwasserbeseitigung im Landkreis zu gewährleisten. Durch Verteidigung abstrakter Gefahren – in der Regel auch noch auf Kosten der Kommunen und Verbände – wird am Ende den betroffenen Landkreisen durch wasserwirtschaftliche Investitionen mit ungewissem Risiko geschadet. Die bislang noch übliche Umkehr der Beweislast steht jedenfalls im krassen Widerspruch zu den entsprechenden Mitteilungen der EU-Kommission. Das hat sich aber noch nicht herumgesprochen.

Hinsichtlich der Quelle und Motive des „unverhältnismäßigem Einsatzes repressiver Instrumente“ (Hassemer) vergleiche Hanna Thiele über den Aufstieg der Umweltbürokraten.

Die behördliche Verteidigung abstrakter Gefährdungsdelikte erstickt somit das Wirken des ebenso gesetzlichen Sparsamkeitsprinzips im Keim. Im Zweifel wiegt die behördliche Angst schwerer als ein Nachweis, dass der zusätzliche vermutete eventuelle Nutzen erstens eintritt und notwendig ist und zweitens, dass die zusätzlichen Kosten überhaupt verhältnismäßig und vertretbar sind.

Solange andere bezahlen, kann man beliebig abstrakte Angst haben, diese weiter verbreiten und alle dafür bezahlen lassen, dass man nun keine Angst mehr zu haben braucht.

Das Verbreiten abstrakter Angst ist am Ende ein Geschäft mit fast keinem Risiko und mit keiner Verantwortung.

Wie beurteilen Sie die Situation?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert